Im Bierwinkel
A. Neupert sen.
25. Jahresschrift MAV (1915)
In der Zeit, in welcher Plauen nur 5-10 000 Einwohner zählte, konnten die wenigsten Handwerker sich durch ihre Profession ernähren. Die Mehrzahl betrieb nebenbei Landwirtschaft. Ein angesehener Bürger war, wer ein eigenes Haus besass, einige Felder und 2 Kühe sein eigen nennen und alljährlich 1-2 Schweine fett füttern konnte. Ausser dem Betrieb der Landwirtschaft machten aber auch viele Bürger von der auf ihren Hausgrundstücken ruhenden Brauberechtigung Gebrauch. 1838 gab es in Plauen 185 Brauberechtigte, welche in den 4 städtischen Brauhäusern das Gewerbe ausübten und das selbstgebraute Bier sodann der Reihe nach zum Ausschank brachten. Besonders waren es Kupferschmiede, Klempner und Schlosser, deren Biere als die besten galten und die sich des grössten Zuspruchs erfreuten, sobald der Reiheschank an sie kam. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in einzelnen Fällen aus dem Reiheschank eine ständige Bierwirtschaft, bis ums Jahr 1850 Friedrich an der Ecke des Altmarktes und Ernst Anders (in der Nonnenpforte) Restaurationen eröffneten, in denen auch warme Speisen verabreicht wurden und in welchen in der Hauptsache nur besseres Publikum verkehrte. Obwohl die Friedrich'sche Restauration (Zum Gambrinus) und die von Ernst Anders (Zum Tunnel) dem Rathaus ziemlich nahe lagen, der "Gambrinus" sogar gegenüber gelegen war (Besitzer dieses Hausgrundstückes waren: Rittergutsbesitzer Golle auf Neundorf und Syrau, Leinwandhändler Bär, Zigarrenhändler Wieprecht, jetzt Kürschner H. Klaus), blieb der Ratskeller besonders auch vom ländlichen Publikum (z. Teil infolge des als Spezialität dort verabreichten Sauerbratens mit grünen Klössen) häufig bevorzugt.
Trotzdem entstanden im hinteren Teile der „Herrengasse” bez. in der oberen Hälfte der Schustergasse eine ganze Anzahl von Bierschänken, so dass im Volksmunde die Gegend allgemein nur der „Bierwinkel” genannt wurde.
Auf der Stelle, auf welcher Herrn. Oheim sein stattliches Geschäfts- und Wohnhaus später errichtet hat, befand sich s. Zt. der besonders von Schülern und jungen Leuten gern besuchte Bierschank von Ewald Lange (von Beruf ein Seifensieder), ihm schräg gegenüber stand das Schlosser Lange'sche Haus (welches damals die Herrengasse ebenso wie die dahinter stehende Stadtmauer vom „Totengraben” abschloss), in welchen bis zum Jahre 1901 der Bierschank unter verschiedenen Besitzern, zuletzt von Wetzstein unter dem Namen „Gambrinus” betrieben wurde. Das Wetzsteinsche Haus musste 1901 wegen grosser Baufälligkeit abgetragen werden, nachdem es im Jahre 1898 mit benachbarten Häusern behufs Erbauung eines neuen Rathauses von der Stadt angekauft worden war. Mit dem Verschwinden dieses Hauses war endlich Gelegenheit zur Fortführung der „Herrenstrasse” nach dem untern Graben gegeben.
Oberhalb des Schlosser Lange'schen Hauses befand sich die Köhler'sche Schankwirtschaft, im mittleren Teile der Herrengasse die von Eichhorn, Ecke der Bahngasse und Herrengasse die von Stimmel bewirtschaftete „Deutsche Eiche”, im vorderen Teil der Herrengasse die Höfer'sche Bierschänke, so dass der Name Bierwinkel wohl seine Berechtigung hatte.
Im Laufe der Jahre haben Besitzer 'und Bezeichnungen der einzelnen Schankstätten vielfach gewechselt, so gab es bis zum Abbruch der Häuser in der Herrenstrasse eine Restauration „Zum Bienenstock”, und heute haben wir noch im vorderen Teile der Herrenstrasse eine solche „Zum Stadtkeller”.
Der Ratskeller war im November 1877 aus dem Rathaus in das Stadthaus verlegt worden, aber auch dort wurden die Räume für Verwaltungszwecke bald gebraucht, und so ging die Restauration „Zum Ratskeller” Mitte August 1881 ein, dagegen entstand eine solche im Julius Teuscher'schen Hause unter der Bezeichnung „Zum Stadtkeller”.
In dem Monumentalbau des neuen Rathauses werden wir wieder einen Ratskeller haben, in welchem aber vorzugsweise Wein verschänkt werden wird. Bereits vor 300 Jahren wurden im Ratskeller Rheinische, Franken- und Saaleweine, auch Most und Meth verschänkt, was nach einer Stadtrechnung vom Jahre 1635 einen Gewinn von 85 Gulden, 18 Gr., 85 H. abwarf, und das mitten im 30jährigen Krieg, wo Plauen durch die Soldateska Holkes, durch Pest und Brandunglück schwer heimgesucht worden war.
Der Weinschank wurde im Erdgeschoss des Rathauses unter Aufsicht eines Ratsherrn, der den Titel Weinmeister führte, betrieben. Nach den im Jahre 1583 revidierten älteren Statuten hatte der Weinmeister allvierteljährlich Rechnung zu legen, „wobei jedoch nicht mehr als ein altes Schock Groschen (20 g. Gr., ob à Person oder insgesamt ist nicht gesagt) vertan werden durfte!” Später wurde die Ratskellerwirtschaft verpachtet, 1798 betrug der Pacht einschliesslich der Gastgerechtigkeit und Ratswage 170 Taler.
Der Eingang zum neuen Ratskeller wird sich oberhalb des Gasthauses „Zur Pyramide", also im eigentlichen Bierwinkel befinden.
Das jetzige Gasthaus zur Pyramide war in den Jahren 1835/36 von der Freimaurerloge zur Pyramide erbaut worden und diente deren Zwecken genau 41 Jahre, bis das 1877 errichtete neue Logengebäude an der Windmühlenstrasse bezogen werden konnte.